Oliver Knittel, Knittel's Rat Garten-Blog

Ich bin ein Star

Es war ein Mal ein kleines Meisenpärchen. Eduard und Luise. Sie waren so verliebt ineinander, dass sie beschlossen gemeinsam ein Nest zu bauen.

Und so war es praktisch, dass da Menschen an ihrem Gartenhaus einen wunderschönen Nistkasten aufgehängt hatten. Der Clou: Nicht weit entfernt gab es auch noch ein Futterhäuschen. So konnten die beiden sich in Ruhe umschauen. Die Gegend auskundschaften und Pläne schmieden. Sie flogen rein in den Nistkasten, wieder raus, schauten rechts und links, oben und unten. Von nirgendwo her drohte Gefahr. Gut, die Menschen gingen zwar in ihr Gartenhaus ein und aus. Aber irgendwie sahen sie so vertraut aus als wenn sie schon fast zur Familie gehörten. Eduard flog fleißig hin und her. Begutachtete das Baumaterial, plante die Innenausstattung und zeigte stolz seiner Angetrauten Luise seine Baupläne. Luise bewunderte ihren Eduard für seinen Unternehmergeist und dass er so gut zupacken konnte. „Das ist genau der richtige Vater für meine Kinder. Er kann für uns sorgen“, dachte sie, und ein zufriedenes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Vertrauensvoll legte sie die Planung und die Umsetzung in seine Hände.

Nachdem also klar war, die Gegend und das Haus ist genau das was sie gesucht hatten fingen sie an ihr Nest einzurichten. Dafür saß Luise im Haus und wartete immer sehnsüchtig auf Eduard, der das Baumaterial anschleppte. Schwer beladen saß er auf der Balkonbrüstung und machte erst mal Pause. Danach flog er zum Nest. Die Menschen hatten sogar vor dem Hauseingang eine Stange angebracht, damit man sich hier abstützen konnte, um das Baumaterial durch die Öffnung zu stopfen. Der Ast ist zu breit für das Loch. Eduard lässt es fallen, schaut etwas traurig auf seinen so mühsam gefundenen Ast und überlegt sich, ob er ihn zerkleinern soll. Er überlegt sich anders. Viel zu viel Aufwand, denkt er sich und holt neues Material.

Luise hingegen richtet das Nest Stück für Stück ein und zwitschert:

„Eduard, Du könntest noch ein wenig Moos mitbringen. Damit unser Nachwuchs es auch schön weich hat.“

Als wenn es Gedankenübertragung war, hatte Eduard genau das in seinem Schnabel. Aber oh weh! Stolz will er seiner Luise antworten und schon fällt das Moos aus seinem Schnabel.

„Hm, das war jetzt nicht so geschickt, denkt er sich. In Zukunft werde ich erst das Material ins Haus liefern und dann meinen Schnabel aufmachen.“

Und so bauten die beiden Stück für Stück und mit viel Mühe ihr Nest. Zwischendurch stärkten sie sich an dem Futterhäuschen. Alles schien perfekt. Doch der Schein trügt. Während Eduard und Luise einen gemeinsamen Sonntagsausflug unternahmen entdeckte ein Staren-Männchen diesen wunderschönen Nistkasten. Neugierig schaut er rein und pfeift seiner Angetrauten zu:

„Stell Dir vor, hier ist ein Nest und das ist schon fast fertig. Wie praktisch. Hier müssen wir fast nichts mehr tun. Und alles so neu und so gemütlich. Hier bleiben wir. Das Nest ist wie für uns gemacht.“

Gesagt, getan. Sofort besetzten sie das Haus. Am späten Nachmittag kommen Eduard und Luise von ihrem Sonntagsausflug nach Hause und was sehen sie? Das Haus wurde zwischenzeitlich von den Staren besetzt. Und die waren leider viel größer und stärker als sie. Was sollen sie jetzt machen? Innerhalb eines Nachmittages haben sie ihr zuhause verloren.

Der Mensch hatte Mitleid mit Eduard und Luise und begann die Stare zu verscheuchen. Aber die waren ziemlich clever. Offensichtlich wussten sie ganz genau, dass der Mensch irgendwann wieder in sein Haus verschwindet. Also flogen sie auf das Dach und wartete einfach in Seelenruhe ab, bis der Mensch wieder verschwunden war.

Der Nistkasten hat seinen Besitzer gewechselt. Und obwohl der Mensch versucht hatte den Schwachen gegen den Stärkeren zu verteidigen und zu schützen wird immer der Stärkere überleben und sich fortpflanzen. So ist es zumindest in der Natur.